Sonntag, 13. Juni 2010

kontrovers

Wenig Zeit? Bei 8 anfangen.

KONTROVERS - also gegeneinander gerichtet oder widersprüchlich können die Nachrichten der letzten Tage genannt werden. Nachdem wir aus ShaarHaNegev nach Tel Aviv gekommen waren, erbrachte die Presseschau (nur FAZ und SZ aus Zeitgründen) am ersten Morgen eindeutig zwei Prügelknaben: den zurückgetretenen Bundespräsidenten Köhler und Israel wegen der Ereignisse vor der Küste des Gazastreifens.

Dort waren mehrere Schiffe mit Hilfslieferungen in internationalen Gewässern gestoppt worden, wobei neun Todesopfer zu beklagen waren. Hierzu gibt es kontroverse Sichtweisen und auf jeder Seite Menschen, die absolut von ihrer Sicht der Dinge überzeugt sind.

Verschiedene Sichtweisen werden deutlich in mehreren Hinweisen, die mir zugeschickt wurden:

1. Eine satirische Kritik an den humanitären Absichten der "Friedensflotte" mit eingespielten Videodokumentationsclips (inzwischen urheberrechtlich gesperrt http://www.youtube.com/watch?v=qQ66qEl-fqo , aber doch noch erreichbar unter (Rechtsklick öffnen in einem Tab):
http://www.youtube.com/watch?v=3W48BCCd_w8&feature=related

2. Eine Rede des Direktors von UNWatch, Hillel Neuer, aus 2007, die auf die Einseitigkeit der UN in Sachen Israel hinweisen soll (mit deutschen Untertiteln). Neuer benennt die Verbrechen arabischer Machthaber, die von den UN nicht thematisiert werden.
http://www.overstream.net/view.php?oid=touri7ezafe6


Bei allem Respekt vor NGOs (Nichtregierungsorganisationen als Teil einer globalen Zivilgesellschaft) muss allerdings auch der Standpunkt von UNWatch kritisch gewürdigt werden , vor allem in Hinblick auf die irreführende Darstellung der UN-Episode als zensiert, und das geschieht hier:
http://www.rightweb.irc-online.org/profile/neuer_hillel

3. Eine Äußerung des diesjährigen Preisträgers des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, David Grossman.

"Ja, David Grossman hat eben erst die israelische Militäraktion gegen die Schiffe, die vergeblich die Gaza-Blockade durchbrechen wollten, als "Torheit" und "Verbrechen" kritisiert. Aber er hat dabei die Erklärungen einger "Friedensaktivisten" unter den Passagieren, in denen von der Zerstörung Israels die Rede war, nicht unerwähnt gelassen. Er hat nur hinzugefügt: " Meinungsäußerungen solcher Art werden, soweit bekannt, noch nicht mit der Todesstrafe bestraft."SZ, 11. Juni 2010) Guardian 1 June 2010

4. Eine recht abgewogene Sicht gibt Chaim, ein Jude aus Deutschland.

5. A propos Grossman und der Friedenspreis des deutschen Buchhandels für "Eine Frau auf der Flucht vor einer Nachricht" einem Roman, in dem es um die trauriger Realität im Nahen Osten geht. In diesem Zusammenhang sollte auch die Reaktion Grossmans auf den Tod des eigenen Sohns beim Libanonkrieg 2006 einbezogen werden.

6. Die Diskussion um die Friedensflotte hat auch Bruchsal.org, eine lokale Netzzeitung, erreicht: hier.

7. Eine arabische Sicht von Faten Mukarker finden Sie hier.

8. Und last but not least - wer wenig Zeit hat sollte unbedingt hier anfangen- Islamisten oder Freiheitshelden, Stephanie Doetzer freie Autorin mit Sitz in Katar auf der Web-Plattform Quantara, einer Seite des Außenministeriums, die sich dem Dialog mit der isalmischen Welt verschrieben hat. Bis vor kurzem arbeitete Frau Doether als Fernsehjournalistin für Al Jazeera, davor als Redakteurin und Reporterin beim SWR.

Tja, nicht ganz einfach zu einer eigenen Meinung zu kommen.

Und wie sieht nun die Situation insgesamt aus? So?

Ein Skorpion und ein Frosch treffen sich an einem breiten Grenzfluss. Sagt der Skorpion zum Frosch: „Du Frosch, sieh mal: ich kann nicht schwimmen, würde aber unheimlich gerne auf de andere Seite des Flusses. Deswegen wäre es unheimlich hilfreich, wenn Du mich auf den Rücken nehmen könntest, um mit mir zum anderen Ufer zu schwimmen.“ Antwortet der Frosch: „Ich bin doch nicht dumm! Wenn ich mit Dir über den Fluss schwimme, dann wirst Du mich sicherlich stechen, kaum dass wir die Mitte des Flusses erreicht haben... Dann geh ich unter und ertrinke.“ Erwidert der Skorpion: „Sieh mal Frosch. Warum sollte ich das denn tun. Denn dann gehe ich mit Dir unter und ertrinke ebenso!“ Der Frosch überlegt kurz und nimmt dann den Skorpion auf den Rücken um loszuschwimmen. Kaum haben die beiden die Mitte des Flusses erreicht, als der Skorpion tatsächlich zusticht.
Noch während des Untergehens sagt der Skorpion zum Frosch: „Willkommen im Nahen Osten!“

oder so

Wer im Nahem Osten wohnt (oder reist) und nicht an Wunder glaubt, ist kein Realist.

bzw. so

Natürlich kann man keine Pläne für das Unerwartete schmieden. Aber man muss damit rechnen. Es ist irrational, das Irrationale nicht zu berücksichtigen.
(Uri Avneri in seinem Newsletter "Eine Fantasie")

Hauptthema für Uri Avneri, dessen Biographie nachzulesen sich allemal lohnt, während der Flotilla-Affäre ist nicht die Flottilla, sondern die verweigerte Einreise von Noam Chomski nach Israel: Halleluja, die Welt ist gegen uns.
In seinem neuesten Newsletter Der Blitz (19. Juni 2010 mit einer Anspielung auf den Verteidigungsminister Ehud Barak auf Hebräisch Blitz) schildert er die bröckelnde Unterstützung Israels weltweit, was er als Anlass für einen massiven Friedensappell nutzt, aber genauso gut als Motiv für überzogene Sicherheitsmaßnahmen verstanden werden kann. Avneri liefert auch Fragen für eine geforderte Untersuchung.

Und hier die Stellungnahme Chomskis, interviewt vom israelischen Fernsehsender Channel 2:
http://www.youtube.com/watch?v=9ES5HEfmUXk

In einer aktuellen Stunde befasste sich auch der Bundestag mit der Materie:
http://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2010/30113864_kw23_de_konvoi/index.html

Und zum Schluss noch einmal (siehe Vorbereitungen 2: 23. April 2010) der Verweis auf Israel kurzgefasst (S. 122-126) Nachdenken über Israel als Projektionsfläche / Unterschiedliche Wahrnehmung (Gisela Dachs) von der Bundeszentrale für politische Bildung (4 MB). Der Download lohnt sich.

Doch nicht der Schluss. Am 3. Juli meldet sich Avnery mit einem neuen Newsletter Ein Besenstiel kann schießen und sagt folgendes:

Die meisten Kritiker Israels – besonders im Ausland - sehen das Land als einen eindimensionalen Monolith. Sie sehen alle seine (jüdischen) Bürger im Parademarsch hinter ihrer rechten Regierung marschieren, die von einer dunklen Ideologie verzehrt, die Besatzung unterstützen, die Siedlungen bauen und die Kriegsverbrechen begehen. Dies ist übrigens ein Spiegelbild der Bewunderer Israels in der Welt, die Israel auch als eindimensionalen Monolith sehen: alle Bürger marschieren stolz hinter ihren tapferen und entschlossenen Führern – Binjamin Netanyahu, Ehud Barak und Avigdor Lieberman.

Die Wahrheit liegt weit von diesen beiden Karikaturen entfernt. Es genügt, wenn ein ausländischer Besucher ein paar Wochen in Israel verweilt und in Kontakt mit seiner Bevölkerung kommt, um zu sehen, dass die Realität viel, viel komplexer ist. (Tatsächlich wage ich zu sagen, dass jemand, der dies nicht getan hat, unmöglich verstehen kann, was hier geschieht.)

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